Von Böhmen in den Westerwald - Geschichte der Hadamarer Glasbetriebe

Besucher des Glasmuseums Hadamar, die den Weg in die Fürstenwohnung des Renaissanceschlosses gefunden haben, fragen oft verwundert, welche besondere Beziehung die Stadt am Fuße des Westerwaldes ausgerechnet mit Glas hat.

Zwar befindet sich im nahegelegenen Limburg eine bedeutende Glasmanufaktur, die hochwertiges Beleuch-tungsglas produziert und im benachbarten Wirges besteht seit Generationen eine große Glashütte, in der jeden Tag vollautomatisch Tausende von Flaschen und Wirtschaftsgläser hergestellt werden, doch hier befindet sich nicht der Ursprung des Hadamarer Glases, wie man vermuten könnte.

Es waren Flüchtlinge aus dem Sudetenland, die als Folge des verlorenen 2. Weltkrieges und des unterge-gangenen 3. Reiches zwangsweise aus ihrer Heimat vertrieben wurden und diese quasi über Nacht mit nur wenigen Habseligkeiten verlassen mussten. Eine Anordnung des tschechischen Militärortskommandanten legte im Einzelnen genau fest, wer von der Ausweisung betroffen war, nämlich Einwohner deutscher Volks-zugehörigkeit ohne Unterschied des Alters und des Geschlechts (mit Ausnahme von Angehörigen der kommunistischen und sozialdemokratischen Partei) und welche Gegenstände mitgenommen werden durften. Die Liste war denkbar kurz. Sie beinhaltete lediglich Reiseproviant für die ersten Tage, die allernotwendigsten Dinge für den persönlichen Bedarf in einer Menge, die selbst getragen werden konnten und persönliche Dokumente. Umso umfangreicher dagegen waren die Bedingungen, in denen akribisch aufgelistet wurde, was in der künftigen tschechischen Republik zu verbleiben hatte und wie die Wohnstätte zu verlassen war. Dem-jenigen, der nach seiner Ausweisung in seine alte Heimat zurückwollte, drohte in dem Dekret nach Über-schreitung der neuen Staatsgrenze sogar die Todesstrafe.

Als am 20. Juni 1945 die Deportation der Sudetendeutschen aus Haida (Nový Bor) und Steinschönau (Kamenický ¦enov) begann, wurden sie bis zur sächsischen Grenze geführt und ihrem Schicksal überlassen. Auf verschlungenen Umwegen und Zwischenstationen entschied sich die Mehrzahl von ihnen, in den Westen auszureisen. Die Vertriebenentransporte aus dem Sudetenland wurden entsprechend einer Regelung der westlichen Besatzungsmächte schwerpunktmäßig nach Bayern und Hessen geleitet. Fast 11.000 Sudeten-deutsche zählte man 1946 allein im Kreis Limburg. Darunter waren auch zahlreiche Glasfachleute aus der nordböhmischen Region, insbesondere, wie schon erwähnt, aus Haida und Steinschönau.

Wie Bürgermeister Michael Ruoff, zugleich auch 1. Vorsitzender vom „Trägerverein des Glasmuseums Schloss Hadamar e.V.“, eingangs zu berichten wusste, betrug der Anteil der Heimatvertriebenen Ende 1949 insgesamt 20 %, mithin 1.207 von 6.003 Einwohnern. Nunmehr begrüßte er zur Eröffnung für die Sonder-ausstellung „Von Böhmen in den Westerwald - Geschichte der Hadamarer Glasbetriebe“, die anwesenden Gäste, in der bis auf den letzten Platz besetzten Aula. Ruoff zeigte auf, dass die Ansiedlung und Eingliede-rung der Heimatvertriebenen nicht ohne Konflikte einherging. Sie wurden, da kaum Wohnraum vorhanden war, in Wohnungen und Häuser der Einheimischen eingewiesen. Umso erstaunlicher, dass unter diesen Bedingungen die Neubürger, wie Karl Meltzer, Prof. Alexander Pfohl, Prof. Max Tischler, Ernst Wittig, Hermann Fabich, Karl-Richard Hosch um nur einige zu nennen, in Hadamar nicht nur Fuß hier gefasst, sondern auch mit ihrem Handwerk einen neuen Geschäftszweig gegründet haben.

Baumaßnahme zur Errichtung des 1. Glasbetriebes an der Mainzer Landstraße
Angelika Krombach, Enkelin von Professor Alexander Pfohl, dem Glasmaler und einer der Mitbegründer der Glasfachschule Hadamar, hielt die Laudatio zur Geschichte Böhmens und dem Beginn der Hadamarer Glasbetriebe.

Die Anfänge von veredeltem Glas in Hadamar sind - wie so oft im Leben - einem Zufall zu verdanken. Drei junge Glasraffineure - wie damals Glasveredler bezeichnet wurden - saßen an einem Sommertag im Jahre 1947 im Bahnhofsrestaurant in Limburg zusammen und berieten, wie es nun nach dem Krieg weitergehen sollte. Es waren die Heimatvertriebenen Ernst Wittig, Herbert Fabich und Herbert Meltzer aus dem nord-böhmischen Glaszentrum Steinschönau und Haida. Es war Marianne Fein, die am Nebentisch zufällig das Gespräch mitangehört hatte. Sie brachte die Unternehmer mit ihrer Großmutter Hedwig Siebert aus Hadamar zusammen. Diese bot dem Trio nicht nur eine Unterkunft bei sich an, sondern vermittelte ihnen Produktions-stätten, wo sie sich im Laufe der Nachkriegsjahre eine berufliche Existenz aufbauen konnten.

Glasbetrieb an der Meltzer, Wittig, Fabich und Hantschel & Kunte an der Mainzer Landstraße
Das erste Rohglas kauften die ausgesiedelten Firmeninhaber noch in der Limburger Glashütte, wo in Er-mangelung reiner Rohstoffe aus Rheinsand ein grau-blaustichiges Glas hergestellt wurde. Ihr Gründer war Dr. Walter Heinrich; er sollte später der erste Direktor der Glasfachschule werden. Dieses Glas wurde jedoch den zunehmenden Qualitätsanforderungen der Kunden nicht gerecht, so dass das überwiegende Rohglas in den Folgejahren aus der Hessenglashütte in Stierstadt (Oberursel) bezogen wurde, die ebenfalls in den Nach-kriegsjahren von Heimatvertriebenen aus dem Oberen Kamnitztal (Bezirk Gablonz) aufgebaut wurde. Die An-fänge der Glasproduktion in der Hütte verliefen nicht gleich glatt; erst das Know-How von Otto Fischer als Geschäftsführer und die notwendige Unterstützung durch die zuständigen Ministerien in Wiesbaden führten die Hütte zu ihrem späteren Erfolg.

Herbert Meltzer war Nachfolger der alteingesessenen Fa. Meltzer und Tschernich aus Haida. Auch die neu gegründete Firma in Hadamar befasste sich mit der Veredelung von hochwertigem Glas aller Arten. Kein geringerer als der später an der Glasfachschule Hadamar unterrichtende Prof. Alexander Pfohl hat u.a. Entwürfe für diese Firma angefertigt. Sie hat sich insbesondere durch ihre geschliffenen und bemalten Überfangvasen einen Namen gemacht. Der Betrieb bestand bis zu seiner Geschäftsaufgabe 1972. Meltzer be-schäftigte in seiner Blütezeit zwischen 1960 und 1970 zwischen 50 und 75 Mitarbeiter und war damit genau so groß wie die Fa. Wittig.

Auch Ernst Wittig revitalisierte mit viel unternehmerischem Engagement seine in Nordböhmen 1908 gegrün-dete Firma. Die in Hadamar und Oberursel niedergelassene Ernst Wittig GmbH stellte nach tradierten Mustern Gebrauchs- und Luxusglas her, die durch Ätzung und Säurepolitur veredelt wurden. Sie war spezialisiert auf Schliff und Gravur auf sogenannten Rubinbeizgläsern. Die technisch auf-wendige Rubinbeize erfolgt durch drei Brände und wurde von Willi Hergesell, einem kleinen Familienbetrieb im Nachbarort, hergestellt.

Wittig führte schon damals die innovative Spritztechnik und das Siebdruckverfahren ein. Auf typischen Wittig-Gläsern sind jedoch gravierte Roccaillemuster und Jagdgravuren abgebildet. Die Firma fertigte aber auch anspruchsvolle Andenkengläser und exklusive Servicegläser mit breitem Poliergoldrand an. Ernst Wittig bezeichnete diese Zeit gern als ‚Westerwälder Goldrausch‘. Bis zu 5 kg Feingold im Jahr wurden - im wahrsten Sinne des Wortes - in der Glanzzeit verarbeitet; der damals niedrige Feingoldpreis machte es möglich. Stolz war der Firmengründer darauf, dass seine Kunden schon 1947 aus allen Erdteilen kamen.

Bedingt durch die Neugründungen der Firmen Meltzer und Wittig am Fuße des Westerwaldes sowie die verhältnismäßig guten Rahmenbedingungen, die die Heimatvertriebenen in der Stadt sowie durch die Unterstützung des Hessischen Wirtschaftsministeriums und des Ministeriums für Vertriebene vorfanden, kamen weitere namhafte Glasfachleute aus dem Sudetenland nach Hadamar.

Hier sind die Firmen Hantschel und Kunte um 1965 mit zwischen 40 und 50 Mitarbeitern sowie die Fa. Fabich mit etwa 30 Mitarbeitern zu nennen. Die Fa. Fabich bestand noch bis in die 70er Jahre des vorigen Jahrhun-derts und produzierte prunkvolle Lampen und Leuchter, in erster Linie für die reiche Kundschaft des arabischen Marktes in Saudi Arabien und dem Nahen Osten. Aus der Glanzzeit der Firma Meltzer-Tschernich GmbH gibt ein Foto Auskunft, das den Schah von Persien mit Gefolge zeigt, der in Hadamar prächtige Lüster für seinen Palast in Auftrag gab.

Der Entwurf dieses kunstvollen Pokals, aus echtem Bleikristall mit Eckenschliff gearbeitet, stammt von dem im Jahre 1953 verstorbenen Professor Alexander Pfohl
Im März des Jahres 1955 überreichte Herr Meltzer dem persischen Kaiserpaar auf Schloss Johannisberg einen kunstvollen Pokal aus der Hadamarer Glasraffinerie. Wie dem Bild zu entnehmen ist, bewunderte der Schah das Kristallkunstwerk und in ausgezeichnetem Deutsch, wie seinerzeit der Presse zu entnehmen war, dankte Kaiserin Soraya für diese Aufmerksamkeit und gab ihrem „Hofmarschall“ die Anweisung, den Pokal sorgfältig zu verwahren und zu ihrem persönlichen Gepäck in den Salonwagen ihres Sonderzuges zu bringen. Auf die Frage, ob das Geschenk in Deutschland hergestellt worden sei, wies Fürst Metternich darauf hin, dass es sich um das Erzeugnis eines einstmals im Sudentenland ansässigen und heute in Hadamar produzieren-den deutschen Glasveredelungsbetrieb handele.

Auch zahlreiche Ein-Mann- und Kleinbetriebe, deren Inhaber aus dem Sudetenland stammen, arbeiteten in der Nachkriegszeit im Akkordlohn. Namen wie Eiselt, Herrmann, Hosch, Kögler, Klimt, Oppelt, Pautsch und Werner bringen meist nur noch ältere Einwohner von Hadamar mit der Glasveredlung in Verbindung. Sie sollen und dürfen nicht vergessen werden, haben sie doch auch ihren wesentlichen Anteil am Aufschwung der Glasraffinerien in Hadamar geleistet.

Obwohl die mit dem Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit prosperierenden Glasbetriebe zahlreiche weitere heimatvertriebene Glasspezialisten in die Westerwälder Kleinstadt zogen, erkannten die führenden Firmen-inhaber, das, aufgrund der steigenden Nachfrage nach veredeltem Glas, Nachwuchsprobleme an Fach-arbeitern auftreten würden. So machte sich, insbesondere der in der Stadtverordnetenversammlung lange Jahrzehnte tätige Ernst Wittig dafür stark, nach dem Vorbild der speziellen Ausbildungsbetriebe in Nord-böhmen auch in Hadamar eine Glasfachschule einzurichten. Auch Oberursel konkurrierte mit diesem Gedanken - als der damalige Bürgermeister Paul Hoffmann kurzerhand eine ausgediente Baracke als Schulraum zur Verfügung stellte und damit die Stadt Oberursel, vor den Toren Frankfurts gelegen, vor vollendete Tatsachen stellte.

Im September 2019 feierte die Glasfachschule Hadamar, in der Schüler und Studierende aus ganz Deutsch-land ausgebildet werden, übrigens ihr 70jähriges Jubiläum. Heute existiert in Hadamar bedauerlicherweise kein einziger Glasveredlungsbetrieb mehr (die Firmen von Herbert Meltzer und Ernst Wittig waren die Letzten) ein geänderter Kundengeschmack und Konkurrenzartikel aus Polen und Tschechien, die damals noch staat-lich subventioniert wurden, waren neben anderen Aspekten die Ursachen für diese Entwicklung.

In ihrem Vortrag konnte Angelika Krombach einige lustige Anekdoten aus der eigenen Familiengeschichte mit einfließen lassen. Am Ende hatte sie noch einen Wunsch. Ihre Mutter, Brigitte Herrmann-Pfohl, bemühte sich sehr um eine Versöhnung zwischen den Tschechen und den Deutschen. Insofern gibt es auch seit vielen Jahren Kontakte zwischen den Städten Haida und Hadamar. Ihre Mutter erhielt als Symbol der Aussöhnung eine feine runde Glasplatte, mit wenigen Zentimeter Durchmesser, welche ein tschechischer Künstler gravierte. Als besonderes Zeichen vermachte sie dieses Kunstwerk dem Glasmuseum.

Am Ende der Veranstaltung bedankte sich Michael Ruoff bei Angelika Krombach für den Vortrag. Ebenso bei Irina Martin und Renate Samrock für die musikalische Umrahmung am Flügel und dem Fagott mit Werken von Gabriel Faure und Zdenek Fiebich.

Bevor er nunmehr die Ausstellung eröffnete, bedankte er sich noch bei den Leihgebern der ausgestellten Werke sowie an die damit verbundene Wissensvermittlung. Besucherinnen und Besucher dieser Ausstellung haben nunmehr die Gelegenheit, mehr zur Geschichte der Glasindustrie in Hadamar zu erfahren. Auch ist zur Geschichte der Hadamarer Glasindustrie eine 12-seitige Broschüre erschienen, die im „Glasmuseum Schloss Hadamar“ für einen Unkostenbeitrag von 5,00 ¤ zu erwerben ist.

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